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"Stimme ist angeboren. Wieso dann Stimmtraining?"

Wie oft habe ich schon die erstaunten Ausrufe gehört und in die verwunderten Augen gesehen nach der ersten Begegnung mit Stimmbildung. "Das ist möglich? Unglaublich! Und ich dachte immer, meine Stimme ist eben so, das ist angeboren, da kann man nichts machen!"
Natürlich, die Stimme jedes einzelnen Menschen ist einzigartig, so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Man könnte sagen, die Stimme ist unsere akustische Visitenkarte oder gar unser "stimmakustisches Branding".
Ist Stimme also angeboren und damit Stimmtraining unsinnig?
Im Laufe des Lebens ändert sich Stimme, je nach Alter, durch veränderte hormonelle Situation im Körper und auch entsprechend unserer Stimmung und Umgebung klingt die Stimme anders. Sie verrät viel von unserem inneren Empfinden. Heinrich Jacoby, ein deutsch-schweizer Musiker und begnadeter Musikpädagoge (1889 - 1964) sagte einmal "Die Stimme ist immer stimmig", sie spiegelt also unsere Befindlichkeit ehrlich.

Stimme ist kein Schicksal!

Stimmbildung ist Persönlichkeitsbildung

Es ist jedoch möglich, die Stimme zu entwickeln in dem Sinne, dass das volle Potential ihrer Möglichkeiten zum Ausdruck kommt.
Wenn Stimme ein hörbares Abbild unserer Person ist, dann trägt Stimmbildung sehr zu unserer Persönlichkeitsbildung bei. Bei dem Prozess sich selbst weiterentwickeln, spielt die Stimmentwicklung eine große Rolle. Schon allein deshalb lohnt es sich sehr, sich mit dem Potential der eigenen Stimme zu befassen.

Fragen an meine Stimme

  • Was ist meine natürliche Sprechstimmlage?
  • Wie werde ich ohne Druck laut oder leise?
  • Wie hilft oder hindert Atem meine Stimme?
  • Wie wirkt meine Stimme vertrauenserweckend?
  • Wie bekommt mein Stimmklang eine charismatische Wirkung?
  • Zeigt meine Stimme meine Position, oder lässt sie mich kleiner scheinen?
  • Klingt meine Stimme authentisch?

Die Liste könnte sicherlich noch länger fortgesetzt werden. Schauen wir uns im Folgenden einige Bereiche an, die sich verändern, wenn wir zu mehr Stimm-Bewusstheit kommen.

Weshalb es sich lohnt, Dein Stimmpotential zu entwickeln:

Aufmerksamkeit erhalten

Wie wäre es, wenn du aufstehst, anfängst zu sprechen und alle Augen richten sich auf Dich, alle hängen geradezu an Deinen Lippen?
Das passiert nicht, weil Du besonders laut sprichst oder die Worte ganz bedacht gewählt hast. Wenn Deine Stimme klar strahlt durch einen hochfrequenten Klanganteil, wirst Du wahrgenommen, ohne laut werden zu müssen oder Dich anzustrengen!
Diese Brillanz in Deiner Stimme entsteht durch die Resonanz in den vielen kleinen Räumen unseres Kopfes. Wenn die Schwingung, die an den Stimmlippen im Kehlkopf entsteht, in der Lage ist, diese Räume anzuregen, dann resonieren diese gerne mit und schenken dem Klang ihre Eigenresonanz Frequenzen dazu. Dadurch wird der Klang reicher, bekommt mehr Leichtigkeit und wie schon erwähnt, durch den hohen Schwingungsanteil mehr Tragfähigkeit. Und das alles ganz ohne mehr Anstrengung.
Eine ganz besonders wichtige Rolle spielen dabei die Ohren. Ja, die Ohren sind nicht nur ein Hörorgan, das kontrolliert ob alles gut und richtig ist, sie sind auch Resonanzraum und ein ganz wichtiges "Entlastungsorgan" für den Kehlkopf.

Ernst genommen werden

Die Energie Deiner Stimme verdeutlicht: es ist nicht nur so daher gesagt, sondern es ist ernst gemeint!
Doch wie bekommt die Stimme mehr Energie? Und gemeint ist damit nicht mehr Druck sondern mehr Schwingung, die in Resonanz tritt mit den eigenen Körperstrukturen und damit auch mit denen der Zuhörerschaft!
Wenn wir lernen, den Körper in einen Zustand zu versetzen, der entspannt aber nicht schlapp ist, also gerade passend tonisiert, dann kommt Energie und Kraft mit Leichtigkeit in die Stimme. Mit vielen Atem- und Stimmübungen lernen wir loszulassen, um dem Atem und dem Klang freie Entfaltung zu ermöglichen. Ein guter Kontakt zum Boden, Durchlässigkeit in Gelenken und Faszien und ein motorisch ruhiger aber sensorisch wacher Körper lässt der Stimme den Raum, um sich selbst zu regulieren. Das heißt wir trainieren nicht eigentlich die Stimme sondern wir stimulieren den Körper so, dass er die Stimme frei lassen kann und wir schulen unsere Wahrnehmung überhaupt erst einmal mitzubekommen, was im Körper so alles passiert.

Atmosphäre schaffen

Wir kennen sicherlich alle die Erfahrung, dass wir uns in einem Gespräch aber auch bei einem Podcast wohl und wahrgenommen fühlen. Das passiert sogar selbst dann bisweilen, wenn wir unser Gegenüber nicht sehen.
Wie entsteht eine solch empathische Atmosphäre?
Wenn eine Stimme nicht nach außen gerichtet ist, sondern Resonanz im eigenen Körper findet, dann entsteht ein Sog, ein solcher Klang zieht magisch an! Die eigenen Körperräume fangen an zu resonieren. Wir werden berührt.
Wenn nun nicht nur die kleinen Kopfräume mitschwingen, sondern auch Strukturen unterhalb des Kehlkopfes, dann kommen tiefere, dunklere Klangfarben dazu, die Ruhe und Vertrauen vermitteln.
Und das absolut geniale dabei ist, diese Wirkung ist nicht nur außen zu spüren, sondern wir beruhigen auch uns selbst. Was für ein Gewinn in einer Vortragssituation: ich werde selbst ruhig und entspannt während meines Vortrags und gleichzeitig berühre ich die Zuhörerschaft und schaffe eine gute, stimmige Atmosphäre!

Akustische Visitenkarte

Oft ist allein der Klang der Stimme entscheidend, ob der Podcast, das Video oder der Online-Kurs angehört wird oder nicht. Nervt die Stimme oder zieht sie mich in ihren Bann?
Unsere Stimme ist insbesondere als Coach, Führungskraft oder DozentIn die Markenbotschafterin eines Unternehmens. Es ist der erste Eindruck, der so vieles entscheidet. Blitzschnell nehmen wir über den Stimmklang wahr, wie die aktuelle Stimmung ist, welche Emotionen tatsächlich dahinter stecken.
Entsteht Vertrauen oder Misstrauen?
Ist Sympathie im Spiel?
Ist das Gespräch freundschaftlich oder eher eine Konkurrenzsituation oder gar Feindschaft?

Unsere Reaktion auf den Klang ist viel schneller als unsere Reaktion auf den Inhalt.
Unser Stammhirn analysiert zuallererst mal die Sicherheit der Situation anhand des Klanges. Das gibt schon die erste Orientierung, ob es sich lohnt, zuzuhören.
Dann kommt das übergeordnete Limbische System, das die Beziehungsebene analysiert und erst danach kann sich das Großhirn um den Inhalt kümmern.😇
Der Klang der Stimme prägt also in kürzester Zeit den Verlauf des Gesprächs!

Wohlbefinden stärken

Die Vibration der Stimme wirkt idealerweise beruhigend auf das Nervensystem. Sie schenkt Energie und Freude!
Anstatt mich zu "verausgaben", empfange ich mit jedem gesprochenen Wort oder gesungenen Klang Ruhe und Lebendigkeit.
Eine Mutter singt oder summt ihr Kind in den Schlaf. Besonders wenn es dabei auf den Arm genommen wird und es so die Vibration der Stimme direkt über den Körper geschenkt bekommt, ist das sehr wirkungsvoll.
Das schnurren einer Katze dient nicht nur ihr selbst zur Regulation, sondern wirkt auch auf uns Menschen ganz wunderbar. Manche durften vielleicht schon die Erfahrung machen, dass die Katze sich sogar direkt neben oder auf einen legt, wenn wir bedürftig sind, Schmerzen haben. Sie reguliert uns dann gleich mit!
Die Heilkraft, die von der Schwingung unserer Stimme ausgehen kann ist immens und noch weit unterschätzt. Dazu wird es sich lohnen einen oder mehrere Blogartikel zu schreiben! Also: demnächst hier!!

Alle, die schon einmal die Erfahrung gemacht haben, mit anderen zusammen zu singen, können sicherlich bestätigen, wie heilsam und wirkungsvoll gemeinsames Tönen ist. Wir koordinieren uns rhythmisch und harmonisch. Wir lassen uns aufeinander ein und bleiben dennoch im eigenen Klang (im Idealfall!). Eine hohe Form der Koordination, der Kommunikation entsteht, die uns erfrischt und gestärkt weiter gehen lässt.

Ausblick

Wie also geht das, die eigene Stimme zu entwickeln?

Ein erster Schritt ist es, die Stimme erst einmal wahrzunehmen.
Wie ist mein stimmlicher Status quo?
Ist meine Stimme laut, leise, hoch tief, luftig oder gepresst?
Wie verändert sie sich, wenn ich angespannt bin?
Wann fühle ich mich wohl mit meiner Stimme und wann nicht?
Werde ich in manchen Situationen schnell stimmlich angestrengt oder sogar heiser?

Auch die Wahrnehmung anderer Stimmen können wir mit ins Boot holen.
Welche Stimmen mag ich und was erlebe ich, wenn ich sie höre?
Wann nervt mich eine Stimme und was genau nervt mich eigentlich?

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich schon eine Vielzahl von Wegen, die wir gehen können, um der eigenen Stimme mehr Freiheit zu ermöglichen. Dann ist der Zeitpunkt da, sich umzuhören, wo da die passende Unterstützung auf diesem Weg zu finden ist.

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